2. Juli 2017, Tourenwagen Classics auf dem Norisring: dritter Wertungslauf der Kult-Rennserie für klassische Renntourenwagen.
1994 von Ellen Lohr gefahrene C-Klasse von Mercedes-Benz eilt auf dem 2,3 Kilometer langen Stadtkurs zum ersten Saisonsieg.
Die Schlagzeilen:
Vor großer Kulisse: Drei Jahre nach dem ersten Showfahren auf dem Stadtkurs in Nürnberg tragen die Tourenwagen-Klassiker ihren ersten eigenständigen Rennwettbewerb aus
Fünf Ex-Profis im 23 Fahrzeuge umfassenden Starterfeld: Altfrid Heger (59) platziert sich als Gesamtzweiter von allen Ehemaligen am besten, Volker Strycek folgt auf Platz vier
Umfassendes Medienpaket: Moderatoren-Legende Rainer Braun (77) und Peter Kohl präsentieren das 40-Minuten-Rennen der Tourenwagen Classics live im TV auf „Sport1“
Thorsten Stadler (Mercedes-Benz), Altfrid Heger/Kurt Gföhler (BMW M3 E30), Jens Böhler (BMW M3 E30) sowie Jannis Bernd (Mercedes 190E DTC) feiern Klassensiege
Die Zuschauer auf dem 2.300 Meter langen Norisring im Herzen der Stadt Nürnberg hielten den Atem an: Stefan Rupp, wie schon am Nürburgring vor 14 Tagen souverän in Führung, rollte eine Minute und 40 Sekunden vor Ablaufen der Rennzeit mit Überhitzungsproblemen am roten Alfa Romeo 155 ti V6 ITC am Streckenrand aus. Was sie nicht wussten: Der lange Zeit Erstplatzierte war gleichzeitig disqualifiziert worden. Drei Runden lang übersah er die Anweisung der Rennleitung, zu einer Durchfahrtsstrafe anzutreten. Die unweigerliche Konsequenz: der Wertungsausschluss. Stefan Rupp war mit Giancarlo Fisichellas Original-Einsatzwagen aus der ITC-Saison 1996 in der Boxengasse mit 72,3 km/h gemessen worden. Hintergrund: Zum Format der Tourenwagen Classics gehört neben 40 Minuten Renndauer auch ein verpflichtendes Boxenstopp-Zeitfenster zwischen der 15. und der 30. Rennminute. Manche Fahrer nutzen die Boxenzeit, um sich ablösen zu lassen, andere gehen die harte Sprint-Distanz allein an.
Stefan Rupp, mit einem Bestwert von 53,195 Minuten vom ersten Training an auf der Pole-Position, machte von dieser Option keinerlei Gebrauch und hoffte statt dessen, nach einem kleinen Feuer am Ende der ersten Samstagssitzung und einem nächtlichem Motorentausch ungeschoren über die 38 Rennrunden zu kommen. Doch wie schon am Nürburgring schlug wieder das Schicksal erbarmungslos zu: Erst die übersehene schwarze Flagge, gleichzeitig der Ausfall – erneut aufgrund starker Rauchentwicklung unter der Motorhaube. Die technische Komplexität der 1996 letztmals eingesetzten Klasse-1-Boliden ist bei aller Faszination unverkennbar. Längst entspricht der personelle, materielle und vor allem der wirtschaftliche Aufwand den Betriebskosten eines aktuellen FIA-GT3-Sportwagens.
Das weiß auch Jörg Hatscher, vor 14 Tagen auf dem Nürburgring noch lachender Sieger mit dem 1996er-Warsteiner-Mercedes-C-Klasse. Jan Magnussen krachte mit diesem Fahrzeug vor 21 Jahren auf dem Norisring in die Streckenbegrenzung und blieb bis zum Dachrahmen unter den Reifenstapeln stecken. Der Däne, vor sechs Wochen in Aarhus schon einmal bei einer Sitzprobe in seinem ehemaligen Dienstwagen gesichtet, konstatierte: ‚Ich würde gerne noch einmal mein Ex-Auto steuern – nur nicht auf dem Norisring, diese Strecke war nicht gut zu mir!‘ So lag es an Jörg Hatscher, ohne prominente Unterstützung durchzufahren. Er kam bis zur 31. von 38 Runden, dann schlug er mit dem rechten Hinterrad an einer der in Nürnberg allgegenwärtigen Betonmauern an. Der Mauerkuss blieb nicht folgenlos: Rechtes Hinterrad und auch die Hinterachse waren gebrochen, eine Weiterfahrt war nicht möglich. Dennoch erhielt Jörg Hatscher als Zweiter in seiner Wertungsgruppe noch wichtige Meisterschaftspunkte.
Sein Teamkollege Thorsten Stadler kam so zu seinem ersten Tagessieg bei den Tourenwagen Classics. Gleichzeitig übernahm er mit 51 Punkten die Tabellenführung vor Ralph Bahr (49 Zähler), dem bisherigen Tabellenersten. Der Techniker aus Hannoversch-Münden bei Kassel setzt die 1994 von Ellen Lohr in der DTM gesteuerte C-Klasse von Mercedes-Benz ein. Außerdem ist Stadler, 2004 mit dem Star-Rapper ‚Smudo‘ alias Michael B. Schmidt von den ‚Fantastischen Vier‘ beim 24-Stunden-Rennen Nürburgring in einer Mannschaft, für die Vorbereitung der beiden Klasse-1-Mercedes-Benz zuständig. Mit ihm in einer Runde und schnellster Vertreter eines klassischen Gruppe-A-Tourenwagens aus der Ära vor der Klasse 1: Altfrid Heger (59, Bigazzi-BMW M3 E30 2.5) aus Essen.
Auch der ehemalige DTM-Star kam ohne Ablösung aus, obwohl Kurt Gföhler als Fahrzeugbesitzer für die zweite Sequenz vorgesehen war. Doch der Österreicher gab Heger zur Halbzeit das Zeichen, er solle im Auto sitzenbleiben. Als viermaliger Gesamtsieger eines 24-Stunden-Rennens ließ sich der Langstreckenpilot nicht lange bitten und setzte seine Aufholjagd nach Problemen in den beiden Zeittrainings fort. In der Nacht war sein Sohn Robert Heger (23) noch aufgebrochen, um im bayerischen Passau eine ECU 4, sprich: ein neues Motorsteuergerät, zu besorgen. Damit lief das 1991er-Modell prächtig. ‚Ich habe natürlich bemerkt, dass die Lenkkräfte sehr hoch sind und die ABS-Bremse hart getreten werden muss, aber ich bin nach wie vor sportlich aktiv, betreibe täglich Nordic Walking mit dem Hund und fühle mich fit!‘
Die weiteren Plätze waren ebenfalls ein Fest für alle Fans und Freunde des Tourenwagen-Rennsports in seiner ursprünglichen Form. Als Gesamtdritter auf dem Siegerpodest: Richard Weber, der seit 2001 einen damals erst zehn Jahre alten BMW M3 E30 2.5 Sport Evolution aus dem MM Diebels Team von Günter Murmann präsentiert. Weber hielt sich zwar lange Zeit vor Altfrid Heger auf, konnte sich der Attacken des Routiniers schlussendlich aber nicht erwehren. Der Vierte im Klassement war gleichzeitig der Sieger der Herzen: Publikumsliebling Volker Strycek löste sein auf der Essen Motor Show 2016 gegebenes Versprechen ein und brachte den roten Opel Omega 24V nach genau 20 Jahren Standzeit zum Saisonhöhepunkt mit nach Nürnberg. Dabei handelte es sich um sein 1994 auf einer Original-DTM-Karosse privat neu aufgebautes Einsatzfahrzeug aus dem Veedol-Langstreckenpokal auf der Nürburgring-Nordschleife.
Mit einem anderen Dreiliter-Viertürer kam Volker Strycek (59), 1984 der erste Titelgewinner in der Deutschen Produktionswagen-Meisterschaft auf BMW 635 CSi, auf dem Alemannenring in Singen/Hohentwiel 1991 auf den fünften Platz – eines der besten Resultate in der Lebenszeit des Opel Omega 24V, dem 1993 der Opel Calibra V6 Allrad folgte. Strycek, mit der ganzen Familie angereist und drahtig wie eh und je, hielt als Vierter einen der drei Veranstalter der Tourenwagen Classics hinter sich. Marc Hessel (51), vor 30 Jahren als BMW-Junior Sieganwärter bei der DTM auf dem Norisring, gönnte sich zum runden Jubiläum eine Fahrt mit demselben Fahrzeugtyp wie damals. Stephan ‚Pipo‘ Piepenbrink, Eigentümer des 1989er BMW M3 E30, lud Hessel als zweiten Piloten neben sich selbst ein. Dieser revanchierte sich mit dem sauber herausgefahrenen fünften Platz. 30 Jahre zuvor war der studierte Architekt aus Bonn als Zweitplatzierter zu Sieger Olaf Manthey, wie er selbst wohnhaft in der damaligen Bundeshauptstadt und sogar auf derselben Straße, auf das Siegertreppchen gestiegen.
Auch auf Rang sechs schimmerte DTM-Historie durch: Sebastian ‚Baschdi‘ Asch, Sieger des ADAC-GT-Masters vor zwei Jahren und Sohn der 66-jährigen DTM-Legende Roland Asch, pilotierte den zuletzt von Marc Hessel bewegten Ford Sierra RS Cosworth von Volker Schneider. Der Siebtplatzierte: Bergspezialist Markus Wüstefeld mit dem Mercedes 190E 2.5-16 Klasse 1 auf dem Stand von 1993. Seine Vierzylinder-Version ist dem damaligen Einsatzwagen von Bernd Schneider nachempfunden. Auf dem achten Gesamtrang und dem ersten Klassenrang notiert: Jens Böhler aus Frankfurt, seit dem Saisonauftakt in Aarhus vor sechs Wochen Tabellenzweiter. Der Pilot eines BMW M3 im Design der französischen Garage du Bac verkürzte in der Tabelle seinen Rückstand auf Spitzenreiter und Mitveranstalter Ralph Bahr, der mit seinem 1987er-Vogelsang-BMW M3 E30 einen Mauerkontakt mit den Rädern der rechten Fahrzeugseite zu verzeichnen hatte, auf einen einzigen Zähler.
Zwischen den beiden Titelaspiranten Böhler und Bahr an elfter Stelle rangierten lagen zwei weitere BMW: Jürgen und Peter Schumann auf dem einzigen 635 CSi Coupé Gruppe A im Feld als sehr gute Neunte und Klassenzweite sowie der Rückkehrer und Klassendritte Christian Reuter (BMW M3 E30) als Zehnter. Ein weiterer Klassensieger: Jannis Bernd mit einem Mercedes 190E DTC. Alexander Burgstaller, der nächste Hochkaräter im Fahrerkollegium, kam nach Turbo-Ladedruckproblemen mit dem zweiten Ford Sierra Cosworth im Rennen nicht zum Einsatz. 21 Tourenwagen-Klassiker nahmen den dritten Lauf der Saison 2017 unter die Räder, zwei weitere – ein Audi A4 STW und leider auch der Opel Astra STW von Steffan Irmler – konnten am Rennen nicht teilnehmen. Dies und vieles mehr kommentierte eine 77-jährige Moderatorenlegende im Fernsehstudio von „Sport1“ in einer Live-Übertragung: Rainer Braun aus Much, unterstützt durch Peter Kohl und Christa Haas. Am Samstag war Braun in den Trainingssitzungen noch als Streckensprecher für die Rennbesucher auf der alten Steintribüne zu hören – die ‚Stimme der alten DTM‘ elektrisierte mit Gänsehautmomenten in Serie.
Am zweiten Wochenende im August setzt sich das Veranstaltungsprogramm beim AvD-Oldtimer-Grand-Prix auf dem Nürburgring fort – weitere Neuzugänge im jetzt schon überaus starken Teilnehmerfeld haben sich bereits angekündigt.
Verantwortlich für den Inhalt: netzwerkeins GmbH, Carsten Krome